Gott als Müllgift: Kathedralen für die neue Wirklichkeit
Bazon Brock
Es gibt zwei prinzipielle Haltungen von Künstlern gegenüber ihrer Zeit. Sie können Ihre kulturelle Produktion als Gegenbild zum Zustand und den Erscheinungsformen der Gesellschaft konzipieren, in der sie leben, oder aber mitIhrer kulturellen Produktion in diesem Zustand eingreifen, damit es den Zeitgenossen möglichst schwer fällt, diesen Zustand zu verdrängen. Winfried Baumann gehört zum letzteren Typ, wobei die Radikalität seiner Haltung und hoffentlich auch die Wirkung seiner Arbeit von der Formkraft getragen werden, über die er als professioneller Künstler, Bildhauer und Architekt in so großem Maße verfügt. Als Zeitgenossen ist Baumann klar, daß die entscheidenden Probleme der Konsumgesellschaft durch unsere Unfähigkeit entstehen, mit dem Abfall und den zerstörerischen Konsequenzen von Produktion und Konsum fertig zu werden. Gerade das aber, womit wir nicht fertig werden, und was sich unseren Wünschen nicht fügt, definiert unsere Wirklichkeit. Womit wir nicht fertig werden, das macht uns Angst, und was uns Angst macht und als übermächtige Wirklichkeit unser Schicksal jenseits aller individuellen Anstrengungen bestimmt, das müssen wir rituell zu bannen versuchen. Solche Ritualformen entwickelte die Kultur auf unterschiedlichen Ebenen; am bedeutsamsten war diejenige, die als Sakralarchitektur den Gott, die Götter, die Geister und die Ideen ins Gehäuse, in den begrenzten Bezirk zu zwingen versuchte. Der Dämon unserer Zeit scheint sich nirgends so übermächtig und so wirklichkeitsbestimmend zu zeigen, wie in der Verwandlung der Welt in eine lebensfeindliche, unkontrollierbare, mondtote Giftmülldeponie. Diesem Dämon, also unserer aller Besessenheit, baut Baumann Kathedralen, damit der Geist, der uns vermüllt, sich vielleicht doch noch zwingen läßt, einen Teil seiner Macht an uns abzutreten, und wir im Gegenzug uns bereit finden, den Müll und das Gift als unsere Schicksalsmacht anzuerkennen und ihnen die höchste Aufmerksamkeit zu widmen. Anbetung war schon immer höchste Form der Selbstvergewisserung des Menschen über sein Schicksal. In dieser Hinsicht unterschieden sich für den Künstler Gott und Müll nicht. Das Überzeugende an Baumanns formalen Konzeptionen (seien es die Vorschläge für die Gestaltung der Abfallbeseitigungsanlage Atzenhof, oder die für die architektonische Neuformulierung des Regierungsviertels in Bonn, seien es die für die Gestaltung eines Altars in einer ruinösen (!) gotischen Kathedrale, oder die von Restauranttischen für schwermetallvergiftete Fresser) liegt in der Synthese von technischerFunktionstüchtigkeit und psychodynamischer Symbolbildung. Dabei hat Baumann zum Beispiel für den Entwurf der Abfallkathedrale nicht nur tradierte Formensprachen ägyptischer Pyramiden und Flugzeughangars addiert. Der Anklang an diese Formen ist gewollt und wünschenswert (monumentale Sakralbauten waren immer auch von neuen technischen Meisterleistungen abhängig); meines Wissens aber hat bisher kein anderer Künstler zu solchen Architekturkonzepten wie Baumann gefunden. Zweifellos sind diese Konzepte aus seiner Arbeit als Bildhauer entstanden, sie sind aber keineswegs nur monumentalisierte Skulpturen. Von ihrer Symbol- und Formkraft sind sie eigenständig projektierte Visionen, die meiner Ansicht nach zum ersten Mal die Heiligkeit des unser Menschenschicksal bestimmenden Mülls, des Gifts und der Strahlung erfahrbar werden lassen. Mit Hinweis auf Baumanns Konzepte für die Kathedralen des Abfalls können wir uns endlich auf unsere entscheidende Kulturproduktion, nämlich die von Tod und Verderben in unseren Städten einlassen; wir brauchen den tödlichen und deswegen anbetungswürdigen Dreck nicht mehr in lebensfernen Gegenden unter die Erde zu verbannen, oder durch allgegenwärtige Verteilung zu minimieren, das heißt zu versuchen, ihn unsichtbar werden zu lassen. Je schneller wir uns aber zu der tödlichen, schicksalbestimmenden Wendung unserer eigenen Werke gegen uns selbst bekennen, indem wir den selbsterzeugten Tod in Kathedralen bannen, desto begründeter wird die Hoffnung, dass sich die strafenden Götter noch einmal besänftigen lassen.
Müllarchitektur ( Text Roland M. Beck )
Müllarchitektur meint künstlerische Konzepte die in der Lage sind, einer Technologie der vollendeten Tatsachen, deren Rückstände auch in zehntausend Jahren noch wirksam sind, die ihrer Gefährlichkeit entsprechende Bedeutung zu geben. Denn die sichtbaren Narben die der Erde durch Rohstoffgewinnung geschlagen werden und die unsichtbaren, der technischen Aufarbeitung und Veredelung, sind längst nicht mehr folgenlos. Die bisherigen Anstrengungen vom unsichtbar machen bis hin zum sogenannten Rekultivieren verraten nur ein schlechtes Gewissen und erweisen sich als kosmetische Korrektur, keinesfalls aber als wirksame Antwort. Der Müll existiert - und zwar in Mengen. diese architektonischen Modelle zeigen den Müll als das, was er ist: ein irritierender Stachel im satten Wirtschaftsfleisch und keinesfalls ein überflüssiges Ärgernis, das den Menschen zu Respekt, Verantwortung und Maß ermahnt. Mehr kann die Kunst nicht. Die Gefahren für Natur, Umwelt und Mensch kann nur die Technik selbst verhindern.
Sicherung und Markierung nuklear verstrahlter Areale
Fukushima, Thorn
Am 11. März 2011 kam es in Fukushima in Japan zu einem starken Erdbeben und nachfolgendem Tsunami. Im Kernkraftwerk Fukushima Daichi kam es zum Super GAU. In vier von sechs Reaktorblöcken kam es zu Explosionen und zur Kernschmelze und große Mengen an radioaktivem Material wurden freigesetzt. Die beschädigten Reaktorblöcke sollen zum dauerhaften Schutz vor radioaktiver Strahlung in Form von überdimensionalen Wächter Skulpturen nach den Proportionen des Isis Tempels von Philae überbaut werden. Im Inneren der Wächter entstehen Deponieräume für radioaktiv verseuchtes Material. Durch die äußere Form und die Dimension werden die Wächter zu einem weithin sichtbaren Mahnmal der atomaren Gefahren.
On 11th March 2011 a powerful earthquake hit Fukushima in Japan, followed by a tsunami. In the nuclear power station Fukushima Daichi the result was a worst case scenario. Explosions and nuclear meltdown occurred in four of the six reactor blocks and large amounts of radioactive material were released. To provide permanent protection from radiation, the damaged reactor blocks will be built over in the shape of oversized Guardian sculptures, based on the proportions of the Temple of Isis, Philae. Inside the Guardians storage units will be made for radioactively contaminated material. The outward shape and dimensions will make the Guardians into a monument to nuclear threat which is visible from a great distance.
Tschernobyl, Sarkophag
Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ereignete sich am 26. April 1986 in Block 4 des Kernkraftwerkes Tschernobyl nahe der ukrainischen Stadt Prybjat. Dabei kam es zur Explosion des Reaktors. Im November 1986 wurde ein Schutzmantel, der Sarkophag-1, aus Stahlbeton errichtet. Da dieser Schutzmantel brüchig geworden ist, wird zum dauerhaften Schutz vor hoch radioaktiver Strahlung eine neue Hülle, der Sarkophag-2, gebaut. Der Sarkophag-2 hat die Form eines riesigen Stachels und ist nach dem Proportionsschem der Sophienkathedrale von Kiew aufgebaut. Er weithin sichtbar als Markierung und Kennzeichnung der strahlenden Hinterlassenschaften der Reaktorkatastrophe von 1986.
The Chernobyl nuclear catastrophe occurred in Block 4 of the nuclear power station Chernobyl close to the Ukrainian city of Pripyat on 26th April 1986. It culminated in the explosion of the reactor. In November 1986 a protective casing was constructed from reinforced concrete, Sarcophagus-1. As this protective casing has become brittle, a new casing is being built to provide permanent protection from high radiation levels, Sarcophagus-2. Sarcophagus-2 takes the shape of a huge thorn and is constructed according to the scheme of proportions of Kiev's St. Sophia's Cathedral. It is visible from far away as a marker and identification of the radiating legacy of the 1986 reactor disaster.
Three Mile Island Nuclear Complex
Das Kernkraftwerk Tree Miles Island liegt auf der gleichnamigen Insel im Susquehanna River in Pennsylvania bei Harrisburg in den USA. Am 28. März 1979 ereignete sich ein Kernschmelzunfall in Block 2. Nach dem Rückbau des Kernkraftwerkes soll auf der Insel ein nukleares Endlager entstehen. Als Proportionierungsgrundlage für die einzelnen Deponiekörper dient die Mastaba des Schepseskaf (Sakkara, Ägypten). Die Schutzbauten sind weithin sichtbar und halten Wache über das verstrahlte Erbe.
The nuclear power station Three Mile Island is situated on the island of the same name in the Susquehanna River in Pennsylvania, near Harrisburg in the USA. On 28th March 1979 a nuclear meltdown accident occurred in Block 2. After the deactivation of the nuclear power station, the proposal is to create a radioactive waste repository on the island. The pattern for the proportions of the individual storage units is the mastaba of King Shepseskaf (Sakkara, Egypt). The protective structures are visible from far away and stand like guardians over the earth contaminated with radiation.
Sellafield Disposal Site for Radioactive Waste
Sellafield (früher Windscale) ist ein weltweit bekannter Nukllearkomplex an der Irischen See in Nordwestengland. Der Komplex wurde durch einen katastrophalen Brand 1957 und durch häufige nukleare Störfälle bekannt. Nach dem Rückbau des Kernkraftwerkes Calder und aller anderen sich auf dem Gelände befindlichen nuklearen Anlagen soll auf dem Areal ein Entsorgungspark für radioaktive Abfällen entstehen. Als Proportionierungsgrundlage für die einzelnen Deponiekörper dienen die Grundrisse verschiedener Kathedralen aus dem Vereinigten Königreich. Die Atom-Kathedralen von Sellafield wachen weithin sichtbar über die strahlenden Hinterlassenschaften einer nuklearen Ära.
Sellafield (formerly Windscale) is an internationally known nuclear complex beside the Irish Sea in North West England. The complex became famous following a catastrophic fire in 1957 and as the result of frequent nuclear incidents. After the closure of Calder nuclear power station and all other nuclear facilities on the site, the intention is to create a disposal park for radioactive waste here. The ground plans of various cathedrals in the United Kingdom form the basis for the individual storage units and their proportions. The atomic cathedrals of Sellafield watch, visible from afar, over the radiating remains of a nuclear era.